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Wie ich den Winter lieben lernte

  • Autorenbild: Ida Hameete
    Ida Hameete
  • 3. Feb.
  • 4 Min. Lesezeit

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Der Morgen beginnt grau, wie so oft in dieser Jahreszeit. Schwere Wolken hängen tief über den Feldern, und ein feiner Nieselregen macht die Kälte noch unangenehmer. Paolo, mein Lagotto Romagnolo, sitzt erwartungsvoll an der Tür - für ihn ist jeder Tag ein guter Tag für einen Spaziergang. Ich ziehe mir Mütze, Schal und dicke Handschuhe an und denke daran, wie sehr ich diese Jahreszeit früher gehasst habe. Früher - das war noch vor wenigen Monaten.

Doch etwas hat sich verändert. Während ich die Haustür öffne und die kühle Morgenluft mir entgegenströmt, spüre ich nicht mehr den gewohnten Widerwillen. Stattdessen macht sich eine leise Vorfreude in mir breit. Wie ist es dazu gekommen? Wie wurde aus einer eingefleischten Winterhasserin jemand, der dem Zauber dieser Jahreszeit erliegt?

Der Winter und ich - eine schwierige Beziehung

Meine Beziehung zum Winter war schon immer kompliziert. Oder besser gesagt: Sie war erschreckend unkompliziert in ihrer absoluten Ablehnung. Der Winter war für mich die Zeit, die es einfach nur zu überstehen galt. Eine graue, kalte, nasse Phase des Jahres, in der ich mich am liebsten wie ein Bär in seine Höhle zurückgezogen hätte, um den Frühling abzuwarten.


Ich manifestierte diese Ablehnung mit einer Beharrlichkeit, die ich heute fast bewundere: "Ich hasse den Winter", "Ich kann mit dieser Jahreszeit einfach nichts anfangen", "Der Winter macht mich depressiv" - diese Sätze waren wie ein Mantra, das ich Jahr für Jahr wiederholte. Und wie Mantren ihre eigene Kraft entwickeln, so formten diese Gedanken meine Realität. Ich sah nur das Grau, spürte nur die Kälte, nahm nur das Unangenehme wahr. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in ihrer reinsten Form.


Kennst du das auch? Gibt es Dinge in deinem Leben, die du von vornherein ablehnst, ohne ihnen wirklich eine Chance zu geben?


Jeder Wintermorgen war eine neue Bestätigung meiner vorgefassten Meinung. Das frühe Aufstehen in der Dunkelheit, das Kratzen des Eises von der Autoscheibe, die klammen Finger trotz Handschuhen - alles wurde zu Beweisen dafür, dass der Winter einfach eine Zeit war, die man nur ertragen konnte.


Raus muss ich trotzdem - Eine widerwillige Entdeckungsreise

Dann kam Paolo in mein Leben, und mit ihm die Notwendigkeit, mehrmals täglich rauszugehen. Egal bei welchem Wetter, egal wie dunkel, kalt oder nass es war - ein Hund braucht seine Bewegung. Anfangs verstärkte das nur meinen Widerstand. Ich zog mich dick ein, als ginge es in eine Expedition in die Arktis, und hetzte Paolo durch die Spaziergänge, immer mit dem Ziel, so schnell wie möglich wieder in die warme Stube zu kommen.


Die ersten Wochen waren eine einzige Herausforderung. Der kalte Wind, der mir ins Gesicht blies, der rutschige Boden unter meinen Füßen, die Dunkelheit, die mir die Orientierung erschwerte - alles schien meine Abneigung zu bestätigen. Ich merkte gar nicht, dass ich in meinem Widerstand gefangen war wie in einem zu eng geschnürten Wintermantel.


Doch etwas begann sich zu verändern, ganz langsam und zunächst unmerklich. Vielleicht war es die schiere Wiederholung, die tägliche Konfrontation mit dem, was ich zu hassen glaubte. Vielleicht war es auch Paolos unerschütterliche Freude an jedem Wetter, die mich zumindest zum Nachdenken brachte. Während ich noch in meiner Ablehnung schwelgte, begann mein Körper sich an den Rhythmus der frühen Morgenspaziergänge zu gewöhnen.


Als der Schnee zu tanzen begann - Mein Moment der Verzauberung

Es war an einem Dezembermorgen im Wald, als sich alles veränderte. Der Himmel hing grau und schwer über den Bäumen, wie so oft in dieser Jahreszeit. Paolo und ich waren auf unserem gewohnten Rundweg, als es zu schneien begann. Nicht der nasse, schwere Schnee, der sofort zu Matsch wird, sondern kleine, leichte Flocken, die in der stillen Luft zu tanzen schienen.


Ich blieb stehen und schaute nach oben. Die Schneeflocken glitzerten, obwohl der Himmel grau war. Sie legten sich sanft auf die dunklen Äste der Bäume, auf die letzten vertrockneten Gräser am Wegesrand. Und plötzlich war da dieser Moment - dieser eine, besondere Moment der Erkenntnis. Die Welt um mich herum verwandelte sich in etwas Zauberhaftes, und ich mittendrin, Teil dieser winterlichen Verzauberung.


Kennst du solche Momente der unerwarteten Schönheit? Momente, in denen sich deine Wahrnehmung plötzlich völlig verändert?


Mit anderen Augen sehen - Die verborgene Schönheit des Winters

Nach diesem Erlebnis begann ich bewusster hinzuschauen. Ich entdeckte den Raureif, der morgens die Pflanzen in glitzernde Kunstwerke verwandelte. Die Nebelschwaden, die im ersten Sonnenlicht wie geheimnisvolle Schleier über den Feldern tanzten. Die besonderen Farben des Winterhimmels, wenn die tiefstehende Sonne die Wolken in Rosa und Gold tauchte.


Selbst die frühe Dunkelheit, die ich früher so sehr verabscheut hatte, zeigte mir ihre eigene Schönheit. Die Gemütlichkeit eines Abends bei Kerzenschein, das warme Licht in den Fenstern der Nachbarhäuser, der besondere Frieden, der sich über die Landschaft legte, wenn die Dämmerung kam.


Ich lernte die verschiedenen Gesichter des Winters kennen und schätzen. Den kristallklaren Frost, der die Luft so wunderbar frisch macht. Den geheimnisvollen Nebel, der vertraute Landschaften in neue Welten verwandelt. Sogar die grauen Tage bekamen ihren eigenen Reiz - sie luden ein zum Innehalten, zum Zur-Ruhe-Kommen, zum Nachsinnen.


Versöhnung mit dem Winter - Ein unerwartetes Happy End

Heute, wenn ich mit Paolo in der Morgendämmerung losgehe, spüre ich eine tiefe Dankbarkeit. Dankbarkeit für die erzwungenen Spaziergänge, die mir die Augen geöffnet haben. Dankbarkeit für die Erkenntnis, dass alle Dinge auch schöne Seiten haben - selbst die, die wir zu hassen glauben. Dankbarkeit für die Fähigkeit unserer Wahrnehmung, sich zu wandeln, wenn wir es nur zulassen.


Der Winter ist immer noch kalt, auch heute noch werden meine Finger manchmal klamm. Aber das macht mir nichts mehr aus. Ich habe gelernt, dass gerade in der vermeintlichen Unwirtlichkeit eine besondere Schönheit liegt. Eine Schönheit, die ich jahrelang nicht sehen konnte, weil ich so sehr damit beschäftigt war, den Winter abzulehnen.


Jetzt, in den letzten Januartagen, ertappe ich mich dabei, wie ich die verbleibende Winterzeit besonders intensiv genieße. Und ja, ich freue mich auch auf den Frühling - aber diesmal nicht aus Ablehnung des Winters, sondern aus Vorfreude auf die nächste Jahreszeit in diesem ewigen Tanz der Natur.


Vielleicht gibt es ja auch in deinem Leben einen "Winter" - etwas, das du bisher ablehnst, das aber darauf wartet, dir seine verborgene Schönheit zu zeigen?


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